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Ihr aktueller Aufenthaltsort: Aktuelles - >Ein  Tal der Erinnerungen<



25. Januar 1964

Nauholzer rüsteten sich schon für den
Fremdenverkehr an der Obernau-Talsperre


Nauholz. 25.01.1964 (tü-wp) Invalide Ewald Bohn zieht seine Blattsäge mit langen, ausholenden Armbewegungen in ein rundes Fichtenholz. Gemächlich kaut er an einem Zigarrenstummel, die schwarze, gestrickte Mütze tief über die Ohren gezogen. Der alte Mann hält inne, stützt sich auf den Schaft der Säge, schiebt den Tabak in den linken Mundwinkel und erklärt: "Sicher, das war eine Überraschung, als ich von der Sache erfuhr". Er meint das Schicksal der Gemeinde Nauholz. Neben Brauersdorf und Obernau sollen auch die 26 Häuser dieser Ortschaft der Obernau-Talsperre weichen.

Seit Anfang Januar ist die Aussiedlung Gesprächsthema Nummer 1 in der Gemeinde. Selbst die Kinder sind mit der Materie vertraut. "Opa, will der Onkel uns hier weg haben?, den wer`d ich verhauen!", ruft die vierjährige Enkelin des Invaliden entrüstet vom Küchenfenster aus.





Nauholz 1964:  26 Häuser der kleine Gemeinde mußten
für den Talsperrenbau aufgegeben werden.
Fotos: Tüllmann(4), Fiebing

Die Empfindung des keinen Mädchens spiegelt in kindlicher Naivität nur die Sorge wider, welche die 130 Bewohner bedrückt: Was wird nun werden? Offiziell sei ihnen in den vergangenen Jahren wiederholt versichert worden, das Dorf Nauholz bleibe erhalten. Nur einige Weiden müßten abgetreten werden; dieses Minus würde aber durch einen großen Aufschwung an Fremdenverkehr ausgeglichen. Man erinnert sich in Nauholz an solche Pläne: Ein Vorbecken der Talsperre, direkt am Dorfausgang gelegen, würde sommertags die nach Abkühlung und Erfrischung dürstenden Stadtbewohner zu Tausenden anlocken. Schwimmer und Paddelboote würden sich in den Wogen tummeln, der Tourismus auf Hochtouren kommen, die Nauholzer zu Geld.

Und jetzt: "Wir sind jahrelang an der Nase herumgeführt worden", meint mißmutig die Hausfrau Elfriede Althaus. Mit Skepsis sieht auch Bürgermeister Emil Klappert der neuen Entwicklung entgegen. Vor vier Jahren, so erinnert er sich, habe der Wasserverband schon erklärt: "In Nauholz, da kann keiner mehr bauen und wenn er noch so eine gefüllte Brieftasche hat!".





Beim Glas Bier diskutierten die Einwohner über das Schicksal der Gemeinde. Gastwirt Rudolf Klein fühlt sich betrogen. Er wollte in diesem Sommer neue Fremdenzimmer einrichten.



Es wurde doch gebaut

Mehrere neue Häuser entstanden, die Einwohner richteten sich auf Fremdenverkehr ein, wandelten Ställe in Wohnräume um, und die Gemeinde baute eine neue Wasserleitung für mehr als 100 000 Mark.

Fast 300 Hektar Weiden und Wald besitzt Nauholz. Nicht mehr als 25 Hektar, so schätzt der Bürgermeister könnten auch künftig zur freien Bestellung genutzt werden. Der übrige Besitz falle, wie die bebaute Ortschaft mit ihren 26 Häusern, in der Schutzzone I, in der besonders strenge Vorschriften angewendet werden müssen. Dort müßten Häuser, Schuppen, Stallungen verschwinden; nicht einmal ein Spaziergänger dürfe diese Zone betreten - mit Rücksicht auf die Reinhaltung des Wassers, das in der Talsperre gesammelt werden soll.

"Das eine steht für uns fest: Uns bekommt man nicht eher hier heraus, bis wir ein anderes Haus mit Grund und Boden fest haben!", spricht Bürgermeister Emil Klappert für die Gemeinde. Er, wie auch die übrigen Familien, wollen sich nicht mit einer finanziellen Entschädigung abfinden lassen.


"Ich habe hier das Haus und einen Morgen Hofraum, genauso will ich es wiederbekommen", lautet die Forderung. Sein Ziel ist, die dörfliche Gemeinschaft erhalten. Drei Gebiete nennt er als möglichen Standort für einen neuen Ort Nauholz: Bei Grissenbach, bei Deuz oder bei Beienbach. Vollständig auf Fremdenverkehr eingestellt hat sich Witwe Frieda Krämer. Vor drei Jahren habe sie beim Wasserverband angefragt, ob es sich lohne; darauf habe will sie keine Antwort erhalten haben. Ein Sprecher der Amtsverwaltung Netphen habe ihr erklärt: "An ihrer Stelle würde ich bauen". Das tat sie. Mit einem Ochsenkarren schaffte sie 60 Wagen Lehm aus dem alten Landwirtschaftsgebäude. Im Herbst 1959 war der erste Teil des Umbaus zu einem Wohnblock beendet. Die Einwände wichen massivem Bauwerk.





Bis sechs Meter vor das Ortsschild
reicht das Wasser, wenn die Obernau-
Talsperre gefüllt ist. Der Ort ist dann
unbewohnt.


Ein Jahr später setzte die unermüdliche Frau, unterstützt von ihren beiden Söhnen, das Werk fort. Die Landwirtschaft wurde reduziert. Von fünf Kühen blieben zwei. Außer ihnen erinnern jetzt nur noch einige Schweine und eine Schar Hühner an den einst bäuerlichen Charakter des Hauses. Fünf Doppel- und zwei Einzelzimmer stehen dafür Touristen zur Verfügung.

Die ersten Gäste besuchten am 27. Juli 1962 die neue Pension. Es waren zwei holländische Familien. Bekannte vermittelten sie nach Nauholz. Seitdem der Witwe das Schicksal der Gemeinde bekannt geworden ist, überlegt sie unschlüssig, ob sie noch Geld für den Umbau anlegen soll.





Über 60 Karren Lehm schafft Witwe Krämer
in einem Jahr aus ihrem Haus,
um massive Mauern zu errichten und es für den
Fremdenverkehr auszubauen.



"So schön, wie ich mir das gedacht hatte, kann ich jetzt nicht mehr ausführen", bedauert Frau Krämer. Gastwirt Rudolf Klein stellt in seinem Wirtshaus als äußere Folgen der jüngsten Aufregung fest, daß der Zigarettenkonsum trotz amerikanischer Reports enorm gestiegen ist. Die Nauholzer machen sich jedoch keinen blauen Dunst vor. Da eröffnete Rudolf Klein vor zwei Jahren stolz seine neue Gaststätte. Im Zeichen des Fremdenverkehrs entstand aus einem Stall ein geräumiger, gemütlich eingerichteter Gasthof. "Das hier ist meine Existenz, hier weiß ich, was ich habe", klopfte der Wirt auf die Theke. In diesem Sommer wollte er das Obergeschoß ausbauen, um neue Zimmer einzurichten. Heute: "Hat doch gar keinen Zweck mehr!".

Neuer Platz für neues Dorf?

"Der Landwirt hier im Tal hat schuldenfreien Grund und Boden", wirft Landwirt und Kraftfahrer Helmut Hoffmann in die Unterhaltung. "Die sollen nicht vorher soviel Wind machen", ärgert er sich über die früheren Verlautbarungen. Auch er hält nichts von bloßer finanzieller Abfindung für Haus und Hof. "An einen anderen Platz ein neues Dorf", ist sein Standpunkt. Lediglich für Ländereien ist er mit einem Geldwert einverstanden. "Die nervliche Belastung, die kann uns doch niemand bezahlen".

Die Situation der Gemeinde, in der das Los der Aussiedlung zunächst wie ein Schock wirkte, zeichnet sich deutlich in dem Entschluß ab, den der Schwager von Helmut Hoffmann faßte. Bis vor wenigen Wochen noch arbeitete er ausschließlich auf seinem Hof. Als er vom künftigen Schicksal seines Heimatdorfes erfuhr, nahm er eine Stelle in einer Fabrik in Weidenau als Hilfsarbeiter an.




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