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Ihr aktueller Aufenthaltsort:  Aktuelles - >Abschiedspredigt in Obernauer Kapellenschule vor 40 Jahren<



Brauersdorf, 21. August 2006



Abschiedspredigt
in einem sterbenden Dorf am 26. Juni 1966 in der Kapellenschule Obernau


Von Pastor Koch, Netphen

Liebe Gemeindeglieder von Obernau!


„Halt im Gedächtnis“! Dort unten im nahen Brauersdorf stehen jetzt ein paar schmucke Häuser als Ersatz für die alten Obernauer Fachwerkhäuser, die so viel Freude und Leid, so viel Geschichten von Menschen in Jahrzehnten und Jahrhunderten gesehen haben. Aber in diesem und jenem der neuen Häuser kann man an der Wand ein Bild sehen, auf dem das alte Haus festgehalten ist und das heißt nun jeden Tag: „Halt im Gedächtnis“, was du verlassen hast! „Halt im Gedächtnis“, was nun abgebrannt und abgebrochen ist, halt im Gedächtnis die heimatliche Erde, die nun in einigen Jahren von den Wassern der neuen Talsperre überflutet sein wird.

Halt im Gedächtnis! Wenn man in die neu eingerichteten Wohnungen der ehemaligen Einwohner von Obernau tritt, dann wird man dort nicht nur so manches Stück der Einrichtung finden, das man schon im alten Haus gesehen hat, sondern dann wird wohl auch bei längerem Verweilen ein Album oder ein Kasten mit alten Fotos hervorgeholt und dann geht’s ans Erzählen: So war es einmal! So lebten wir dort. So hart mussten wir arbeiten! Halt im Gedächtnis! Es lässt sich ja gar nicht alles auslöschen aus dem Gedächtnis, auch das je und dann mit Macht einen überfallende Heimweh nach dem stillen Dorf, lässt sich ja gar nicht mit einer Handbewegung verscheuchen. Und soll auch gar nicht so sein. Und vieles ist nützlich, wenn es nicht vergessen wird, gute und böse Jahre, gute und böse Nachbarschaft und auch das, was ein Blatt aus dem Netphener Totenbuch, anno 1834 erzählt, wie in „Jikobes“ Haus das „Nervenfieber“ oder der „Nervenschlag“ seinen Schrecken verbreitet und in dem Viertel eines Jahres fünf blühende Kinder hingerafft hat und die Mutter und den Vater dazu.



Buben und Mädchen haben in 120 Jahren viel gelernt


Halt im Gedächtnis! Und auch das soll aus dem Gedächtnis nicht ausgelöscht, das an der Schultafel geschrieben steht, dies nämlich, dass hier in diesem „Schülchen“ 120 Jahre lang die Buben und Mädchen die schwere Kunst des Lesens und Schreibens und Rechnens erlernt haben, dass sie den Katechismus und das Gesangbuch und vor allem die Heilige Schrift kennen und zum Teil sogar auswendig lernten, weil ihnen der Herr Lehrer und der Herr Pastor sagten: „Halt im Gedächtnis“!




Der letzte Gottesdienst am 26. Juni 1966 in der Kapellenschule Obernau.
                                                                               Foto: Schulte-WP


Und auch das darf und soll ja nicht vergessen werden, dass da einmal – zu einer Zeit, da der Staat noch keine Sorgen um einen sogenannten Bildungsnotstand kannte – acht Familien aus eigenem Antrieb dieses schlichte Bauwerk errichtet haben, damit es zugleich Schule und als Stätte der gottesdienstlichen Versammlung dienen sollte. Und auch das darf und soll nicht vergessen werden, was unter der Überschrift „Die Geschichte eines Haubergspfennigs“ in dem Erinnerungsbuch „Die gute Hand“ nachzulesen ist, dass da einmal Eltern zum Gedächtnis der gnädigen Befreiung ihres vierjährigen Kindes von einem „jämmerlichen und kränklichen Zustand“, wie sie schrieben, „einen Pfennig Hauberg an genannte Schule gegeben haben als ein bleibendes Kapital, die Zins davon aber zur Bestreitung der Reparaturkosten“. Von dieser Urkunde ist dann der reformierten Pfarrei zu Obernetphen eine gleichlautende Abschrift übergeben worden, weil es eben dazumal die Kirche war, die auch das Schulwesen zu betreuen hatte.

Halt im Gedächtnis! Was aber würde alles Festhalten im Gedächtnis uns schon wirklich helfen, wenn es nicht verwurzelt wäre in dem Gedächtnis dessen, der gestern, heute und in Ewigkeit derselbe ist: Jesus Christus? „Halt im Gedächtnis Jesum Christum, der auferstanden ist von den Toten“!, schreibt der Apostel an seinen Schüler Timotheus. Warum ist das Gedächtnis an Jesus Christus so wichtig, so lebensnotwendig? Weil es das Gedächtnis an die „Auferstehung der Toten“ ist. Derselbe Paulus, der diese Mahnung an seinen Schüler Timotheus gerichtet hat, schreibt im 15. Kapitel an die Korinther: „Der Glaube der Christen ist die Auferstehung der Toten“! Wie verschiedene Quellen aus einem einzigen Quellgebiet entstammen, wie der ganze Fächer der Sonnenstrahlen von dem einen Sonnenball kommt, so kommt alles im Christenglauben aus dieser Mitte: Der Auferstehung Jesu Christi von den Toten.

Indem wir daran glauben, sind wir Christen, alles andere, so schön und recht es auch sein mag, dass wir beten, beispielsweise oder, dass wir uns zum Gottesdienst versammeln, dass wir die Bibel lesen, dass wir die zehn Gebote beachten, dass wir Opfer bringen für die Ausbreitung des Evangeliums oder für die Speisung der Hungernden, alles das macht uns tatsächlich noch nicht zu wirklichen Christen.

Wenn wir die Sache mit der Auferstehung Jesu Christi von den Toten, die unsere eigene Auferstehung verbürgt und nach sich zieht, nicht wissen und glauben, so sind wir doch nur vergehende Schatten, die bald verwelkende Blume auf dem Felde, so bleibt uns doch nur die Klage der Heiden, die keine Hoffnung haben. In diesem „der auferstand von den Toten“ zeigt sich uns aber die ganze Herrlichkeit Gottes. Sie leuchtet jetzt schon in diesem Wort, das wir heute hören dürfen, hören in einem Dorf, das sterben muß, um anderen Dörfern und der Stadt Siegen das Leben zu sichern. Denn das Wasser dieser Talsperre soll ja Hilfe zum Leben sein.

Wir fragen wohl manchmal, wo ist Gott in unserem armen Leben, das uns doch durch die Hand rinnt, wie dem spielenden Kind der Sand durch die Finger? Antwort: da ist Gott auf alle Fälle wo das geschehen ist, die Auferstehung des Sohnes! Dort ist auch für uns der Anfang des ewigen Lebens gemacht.

Sollten wir nicht dankbar dafür sein, dass wir die Herrlichkeit Gottes im Glauben jetzt schon erkennen dürfen in dem Ereignis vor Ostern? Sollten wir im Vertrauen darauf, dass die Macht und Herrlichkeit dessen, der Ostern werden ließ, doch auch über unserem Leben waltet, nicht einfach sprechen: Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl, du, der Auferstandene, der die Auferstehung auch für uns bereit hält? Nur wer dankbar ist, bleibt wirklich gebunden. Jedes Gedächtnis verblasst, aber echte Dankbarkeit bleibt. Und mit ihr das Vertrauen.

Halt im Gedächtnis. Laßt uns das nicht vergessen, wenn wir nun heimgehen, wenn diese Kapelle hier nicht mehr stehen wird. Es gibt auch Dinge, die darf man und soll man nicht vergessen. Man muß nicht alles behalten wollen! Aber dies eine, die Sache mit der Auferstehung Jesu Christi und dem, was sie für uns bedeutet jetzt und einst, sollen wir auf keinen Fall vergessen.

Umgekehrt: Wieviel Ungutes kommt doch einfach daher, dass wir dies leider immer wieder vergessen im Laufe unseres Lebens, dass unser Herr ja längst auferstanden ist, aufgefahren und sitzend zur Rechten des allmächtigen Gottes und von da aus die Welt und mein Leben regiert? Wieviel Ängste, Sorgen, Bitterkeit und Unzufriedenheit würden uns erspart bleiben, wenn wir dies alles fein im Gedächtnis behalten würden!
„Halt im Gedächtnis, Jesum Christum...“, nun, freilich nicht wie einen Toten, sondern wie einen Lebendigen, der mit dir redet! Lebe jetzt mit Ihm!

Unser Glöckchen mit der Inschrift: „Ich rufe allen, groß und klein und bin der reformierten Gemeinde zu Obernau allein. Johann Knaebel goß mich zu Afholderbach 1793“ und hat uns heute zum letzten mal zum Gottesdienst gerufen und wir werden gleich, wenn wir auseinandergehen, noch einmal seinen hellen Klang vernehmen. Dann wird es schweigen. Aber nicht wird schweigen der, zu dem es die Gemeinde hier in Obernau fast 200 Jahre lang gerufen hat: Jesus Christus, unser einziger Trost im Leben und im Sterben. Amen.



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